Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht

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Das rätselhafte Verschwinden der damals neunjährigen Schülerin Scarlett Peters ist nunmehr sechs Jahre vergangen. Drei Jahren darauf wurde der geistig zurückgebliebene Jonathan „Jockel“ Krumbholz wegen Mordes verurteilt und lebenslang in eine Psychiatrie verwiesen. Sein später widerrufenes Geständnis einer Sexualtat bleibt einziges Aufklärungsindiz; das Mädchen wird trotz fehlender Leiche für tot erklärt; der Fall ist abgeschlossen; die Tat verjährt. Bis der eigenwillige, jugendliche Marcel Thalheim beschwört, seiner ehemaligen und scheinbar putzmunteren Weggefährtin inmitten eines belebten Münchner Marktplatzes wiederbegegnet zu sein. Noch einmal kramt Kommissar Polonius Fischer, der aufgrund seiner Zweifel einst als Soko-Chef abgelöst wurde, die alten Akten heraus, sucht die Familien des Opfers und des mutmaßlichen Täters sowie weitere potentielle Zeugen auf, baut ohne offiziellen Auftrag und rechtliche Handhabe, auch zum Unwohlsein seiner Kollegen, den voreilig abgeschlossenen Tathergang neu auf. Ist Jockel nur ein entwicklungsgestörter Geschichtenerzähler? Welche Rolle spielen die zahlreichen Männerbekanntschaften der Michaela Peters? Und ist sogar ein Dienstkollege in die geheimnisvollen Machenschaften involviert? Einst unbeachtete Details und eine inhaltslose Todesstätte stürzen den Kripo-Beamten immer tiefer in eine längst begrabene Unglücksgeschichte …
Bereits seit „German Angst“ (2000) und seinen folgenden Romanen rund um Kommissar Tabor Süden gehört Friedrich Ani fest und wohlverdient zur deutschen Krimiszene. Ein Münchner, dessen Fiktionen in München spielen (und Ortskundige loben seine Korrektheit). Ein ehemaliger Polizeireporter, der von Mordfällen erzählt. Ein von Moral getriebener Autor, der sein Wissen und diverse Geschichten aus dem wahren Leben bezieht – „Totsein verjährt nicht“ basiert auf dem Verschwinden der neunjährigen Peggy aus Lichtenberg/Oberfranken in 2001 -, angereichert durch Milieustudien und dessen konstant schlüssige Ingeniosität. Mehrfach mit Preisen belobigt. Seine Berichte sind fundiert, seine Schreibe schnörkellos, sein Aufbau spannend und stringend, trotz der Nebenschauplätze, seine Inhalte zeitgenössisch und doch innerhalb des Genres unbedingt klassich-handfest: Hier gibt es noch Gut und Böse, offene Korruption und Verbrechen werden am Kneipentresen aufgeklärt. Der Süden-Nachfolger und Held seiner aktuellen Reihe (neben den parallel veröffentlichten Jonas-Vogel-Romanen) ist der „gestürzte Mönch“ Polonius Fischer. Professionelle Distanz liegt dem gottesnahen Kommissar fern, jeder Fall, jedes Verhör – üblicherweise durchgeführt in dessen „P-F-Raum“, einer beichtstuhl-ähnlichen Räumlichkeit dank Kruzifixes an der Wand – hinterlässt bei ihm Spuren. Gezeichnet vom frühen Verlust seiner Mutter, an deren Ertrinkunsgtod er sich mitverantwortlich fühlt, ergibt sich daraus eine windige, schrullige Persönlichkeit. Dies kratzt – aber natürlich – keineswegs an seiner professionellen Scharfsinnigkeit und seinem sich allen Widrigkeiten widersetzendem Sinn für Gerechtigkeit. Selbst wenn ihm, wie in diesem Falle, ein brutaler Anschlag auf seine taxifahrende Herzensdame schwer aufs Gemüt schlägt. So viel Durchhaltekraft belohnt der geneigte Krimifan, genauso wie des Autors Aufruf zu kritischem Hinterfragen, eben auch, wenn es sich um juristische Prozesse dreht – etwa mit dem Kauf dieses frisch erschienenen Taschenbuches:

Ani, Friedrich (Bild: Volker Albers): Totsein verjährt nicht; Roman;
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi-Preis, Kategorie National 2010;
dtv, 2011, 282 Seiten, ISBN: 978-3-423-21308-0, 8,95 Euro

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