Gastautor Spacebear Sven hat einmal wieder tief in seine Kiss-Story geblickt und berichtet uns heute, warum die Band für ihn 2001 aufgehört hat, zu existieren, eine Sichtweise, die viele Kiss-Maniacs durchaus teilen.
“Hier also eine kleine Lehrstunde in KISS-Geschichte:
Nur nicht falsch verstehen – naja, vielleicht doch, denn KISS-Fans sind komisch.
Eine kleine Reise zurück in die 70er Jahre:
Im Jahre des Herrn 1976 gab es eine Schulfete in meiner (Ihr habt’s erraten) Schule. Jeder Schüler, der meinte einen einigermaßen zeitgemäßen Musikgeschmack zu haben, durfte Schallplatten(!) seiner Wahl mitbringen. Da ich damals „Smokie“ gut fand, aber keine Platte von diesen Schmuseheinis mein Eigen nennen konnte (ich hörte sie lediglich im Radio rauf und runter), brachte ich eine Scheibe mit dem Namen „20 Top Speed Hits“ von Arcade mit (die auch noch meinen Eltern gehörte, sich aber heute in meinem Besitz befindet – nicht mehr abspielbar!). Auf diesem großartigen Sampler waren die neuesten Hits dieser Zeit und eben auch ein paar Rocker (Status Quo mit „Break The Rules“ – zwar ein Rocker, aber doch ziemlich seicht) befanden. Auf einmal dröhnte ein Song aus den Boxen, den ich als unheimliches „Geschrammel“ wahrnahm. Der Song war „I Want You“ von KISS. Ich fand diesen Krach einfach unerträglich!
Zeitsprung zum Ende des Jahres 1977: Ein Freund brachte eine Cassette in mein kleines Kinderzimmer (und meinen Cassettenrecorder) mit und meinte, daß ich mir dieses Tape doch mal anhören sollte. Also nahm ich meine Case von selbst aufgenommenen Songs (aus dem Radio – wie sich das damals gehörte) aus dem Recorder und legte diese Freund-Case ein. Was ich hörte war erstmal sehr lautes Publikumsgejohle und dann ein Intro, welches ich niemals wieder vergessen werde: „You wanted the best, you got the best – the hottest band in the world: KISS!!“. Dann kam der Song „Detroit Rock City“ und bis zum letzten (live-)Song „Shout It Out Loud“ war ich gefesselt. Danach kamen noch fünf Studiotracks, die ebenso elektrisierend auf mich wirkten. Von diesem Moment an war ich Fan dieser Band! Dieser Kumpel und ich veranstalteteten von da an reine Überspielungssessions, denn er hatte einige Cassetten dieser Band (allerdings selbst nur überspielt). Es muß im Februar 1978 gewesen sein, daß ich mir „Alive II“ als Original-Cassette schenken ließ. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Band, die ich vergötterte, schon in diversen BRAVO-Artikeln gesehen und war von ihrem Äußeren sehr beeindruckt – geradezu in ihren Bann gezogen. Natürlich war dann der nächste natürliche Schritt, daß ich mein Taschengeld nur noch für Tapes von KISS ausgab (zugegeben, die meisten Cassetten wurden von Oma und Muttern gesponsert). Ich weiß noch, daß Oma auf dem Hamburger Hauptbahnhof, nach Erwerb der ersten KISS-KISS-MC (nicht „Master of Ceremony“, nein, sondern „MusiCassette“) fragte, warum ich das Teil denn haben müßte, denn auf „Double Platinum“ seien die Lieder doch auch enthalten. Oma wird zwar immer die Beste bleiben, aber von meinem frühen KISS-Fansein hatte sie (noch) keine Ahnung (sie mußte sich später das Schlagzeug-Solo in „100,000 Years“ 1000 mal anhören und sie liebte es!). Mein KISS-Fanatismus ging weiter und bis 1983 („Lick It Up“) kaufte ich mir an jedem Erscheinungstag die neue KISS-MC – danach ging es mit LP’s los.
Meine erste selbstgekaufte KISS-MC war wohl tatsächlich „Double Platinum“ und Mitte 1981 war ich – bis zu diesem Zeitpunkt – komplett. Dann kam die Scheibe, die in den damals „wichtigen“ Zeitschriften (BRAVO und POP/ROCKY) sehr gut besprochen wurde, die Fans aber kaum annahmen: „(Music From) THE ELDER“. Die Scheibe war anders, aber sie gefiel mir. Was die Mehrheit der Fans als Quatsch-Scheibe empfanden, war für mich eben eine neue KISS-Platte und wurde geliebt. Noch heute habe ich einen Wahnsinnsspaß diese Scheiblette (jetzt endlich mit der richtigen Songreihenfolge) zu hören. Trotzdem waren die 80er eine schwierige Zeit für KISS und ihre Fans. Erstmal gab es den Rutsch in (vermeindlich) seichte Gefilde und dann die Demaskierung. Diese Demaskierung mußte anscheinend kommen, da die Band in den Staaten kaum noch Publikum zog und ohne diesen drastischen Schritt in der Versenkung verschwunden wäre. Also gab es 1983 zu dem Album „Lick It Up“ die Demaskierung, die zwar einen neuen Schub an Fans brachte, aber (wenigstens) ebenso viele Fans zum Absprung veranlaßte. Es folgten gute bis sehr gute Scheiben, aber eben ohne ihre – aus den 70er Jahren – bekannten Masken. Eigentlich paradox, daß die Fans, die immer wissen wollten wie die Rockmonster ohne ihre Masken aussehen, vom KISS-Fanzug absprangen als es „endlich“ passierte. Wie auch immer, ich sah KISS 1984 das erste Mal live auf der „Animalize“-Tour und ich kann sagen, daß ich überwältigt war! Was für ein geiles Konzert – in einer kleinen Halle (Stadion Sporthalle in Hannover). Wer nicht dort war, hat etwas verpaßt!
Jetzt habe ich doch glatt den Schlagzeugerwechsel von Peter Criss zu Eric Carr (1980) vergessen! Es ist erstaunlich, aber Eric wurde sofort in seinem NEUEN Fox-Make-up akzeptiert. Leider stieg auch Ace Frehley 1982 (offiziell 1983) aus und wurde durch Vinnie Vincent ersetzt, der auch sein EIGENES Make-up bekam. Vinnie’s Zeit war allerdings begrenzt, da er sich anscheinend als ein sehr schwieriger Chrarakter (nicht die Maske) erwies. Vinnie wurde durch Mark Norton (aka Mark St. John) ersetzt, welcher leider eine Form von Artritis (Morbus Reiter) entwickelte und auf der laufenden „Animalize“-Tour temporär und schließlich permanent durch Bruce Kulick ersetzt wurde. Diese Besetzung (Gene Simmons, Paul Stanley, Eric Carr und Bruce Kulick) veröffentlichte in den 80er Jahren gute bis sehr gute Alben, welche auch gut verkauft wurden, wurde aber von den alten Fans als eine von vielen „Hair-Metal(?)-Bands“ abgetan und nicht weiter verfolgt. (Warum ich dies so sehr betone wird später deutlich!)
Also mal wieder fast forward in die 90er:
Das letzte Studioalbum der 80er „Hot In The Shade“ lief in den Staaten – nach der Single „Forever“ – recht ordentlich und so konnte die Tour stattfinden, welche auch ganz ordentlich besucht wurde. Nach Ende der Tour (Anfang ´91) kam der Schock: Eric Carr war an Krebs im Herzen erkrankt! Eine Krebsart, die sehr selten auftritt und daher auch noch nicht gut erforscht zu sein scheint. Jedenfalls mußte sich Eric einer Operation an offenem Herzen und später einer Chemotherapie unterziehen. Ich weiß noch, daß ich zu einem Kumpel damals sagte, als KISS verlauten ließen, daß Eric vielleicht nicht fit genug sei um das neue Album einzuspielen und auf Tour zu gehen, daß sie sich doch besser auflösen sollten. Damals „kannte“ ich Gene und Paul aber noch nicht gut genug! Die Show muß anscheinend immer weitergehen, auch wenn ein Freund (wie Gene und Paul Eric immer bezeichnet haben) totkrank ist. In dieser Krankheitsphase heuerten KISS (Gene und Paul, die endlich nach Ace’s Ausstieg die volle Macht über die Band hatten) den ehemaligen Badlands-, Lita-Ford-Drummer Eric Singer an um die neue Platte einzuspielen. In den Medien wurde natürlich kolportiert, daß Eric S. nur ein temporärer Ersatz wäre bis Eric Carr wieder fit wäre.
Leider verstarb Eric Carr an seiner schweren Krankheit am 24.11.1991 (demselben Tag wie Freddie Mercury – wodurch ihm auch nach seinem Tod die zweite Klasse zugewiesen wurde, denn die meisten Medien beschränkten sich auf Freddie.).
Eines ist mir heute klar: Hätte ich die Informationen damals über Eric’s Tod gehabt, die ich heute habe, hätte mein KISS-Fansein mit Eric’s Tod geendet!
Wie dem auch sei, Gene, Paul und ihre Angestellten veröffentlichten das Album „Revenge“ im Jahre 1992 und haben Eric C. tatsächlich die Platte gewidmet und einen alten Track ausgegraben, den Eric 10 Jahre verzweifelt gesucht hatte („Carr Jam 1981“) und der vor ihm zurückgehalten wurde. Auf einmal war er auf der Platte zu hören – mit Gitarren-Overdubs von Bruce Kulick anstelle von Ace Frehley. Erstaunlich!
Nach dieser – zugegebenermaßen – guten Platte gingen KISS (oder was davon übrig war) auf Tour und spielten in halbvollen Hallen. Dies hielt sie aber nicht davon ab, interessante VHS-Videos zu veröffentlichen auf denen sie (wenn ich „sie“ schreibe, meine ich Paul Stanley und Gene Simmons) die neue Besetzung in den Himmel zu loben und Eric Carr am Rande als sehr freundlichen und guten Bandkumpel zu loben.
Im Großen und Ganzen dümpelten KISS aber dahin. Bis es auf einmal Interesse von MTV (ein Sender, der KISS in den letzten Jahren – freundlich gesagt – ignoriert hatte) für ein MTV Unplugged Konzert gab. G + P witterten ihre Chance und sagten zu. Nicht ohne vorher Kontakt zu Peter Criss und Ace Frehley aufzunehmen. Was passierte war ein MTV-Unplugged-Konzert (1995), währenddessen Peter und Ace für die letzten vier Songs mitspielten und das Publikum die derzeitige Band (Simmons, Stanley, Singer und Kulick) schon gar nicht mehr sehen wollte. Die Fans wollten Ace und Peter zusammen mit Gene und Paul.
Dieser MTV-Auftritt (auf den ich durch Zufall aufmerksam wurde und bei dem Erscheinen von Ace und Peter Tränen in den Augen hatte) war wohl der Anstoß für die Reunion-Tour.
Jedenfalls gab es im Frühjahr 1996 die Bekanntmachung, daß die Original-KISS-Band wieder auf Tour gehen würde. Zuerst war nur von Amerika die Rede, dann kam aber das „MOR-Festival“ in Castle Donington dazu. Da ich mir nicht sicher war ob ich diese Band jemals wiedersehen würde, buchte ich einen Flug (ach ja, damals gab es noch die gute DM und mir ging es besser) und ein Bed and Breakfast Hüttchen und düste zu dem großartigsten KISS-Konzert meines Lebens!
Da waren sie also, Gene, Ace, Paul und Peter in voller Maskerade auf einer mordsmäßig riesigen Bühne und ich in der 36sten Reihe (aber doch irgendwie auf Peter’s Schoß). Es war ein KNALLER! Vergessen war all der Groll auf Gene und Paul (Ich Dussel). Auf dieser Re-union-Tour habe ich KISS vier Mal gesehen – einmal in GB und den Rest in Deutschland.
Mein KISS-Fan-Herz war wieder am Überschwappen! Im Jahre 1998 gab es dann sogar das – damals – grandiose Re-union-Album „Psycho Circus“ und die dazugehörige Tour. Ich war wieder völlig aus dem Häuschen (3 Konzerte)!
Nun wird’s unhübsch!
Noch völlig beseelt von dem Erlebten mit der Original-Band, mußte ich eines Tages in der Fachpresse (nee, jetzt war es nicht mehr die BRAVO) lesen, daß KISS sich auflösen und auf Abschiedstour gehen würden. Ganz doll traurig! Die Tour fand allerdings nur jenseits des großen Teiches statt und daher konnte ich nicht dabei sein. Schiete!
Im Januar – KISS waren immer noch auf Farewell-Tour – las ich in der Presse, daß Peter nicht mehr dabei sei und durch Eric Singer (welcher im Entstehen der Re-union seinem Zorn freien Lauf lies und sich sehr ungerecht behandelt gefühlt hatte) ersetzt werden würde. Soweit so schlecht. In Fankreisen gab es die wildesten Gerüchte was für eine Maske Herr Singer denn tragen würde, denn schließlich hätte doch jedes neue Mitglied (zu Make-up-Zeiten) seinen eigenen Charakter kreieren können. Diese Frage wurde sehr schnell beantwortet (durch das Internet geht soetwas heutzutage!): Eric Singer würde das Cat-Make-up von Peter tragen! WAS!?!? Mit dieser Aussage wurde die Fanbase zum vierten Male gespalten. Das erste Mal war nach Erscheinen der „Disco“-Platte DYNASTY, zum zweiten mal bei der Demaskierung, dann nach dem Weitermachen nach Eric Carr’s Tod und nun gab’s auch noch die Make-up-Frage. Viele Fans haben sich wahrscheinlich gesagt, daß solange Ace in der Band ist, ist alles gut. Das sollte sich schnell ins Gegenteil drehen, denn als KISS entschieden, daß sie nach der Abschiedstour doch weitermachen wollten (kennt man ja von den Stones, Eagles etc.), sagte Ace „Farewell is farewell!“ und blieb weg. Respekt, Alter! Nun geschah allerdings das Unglaubliche: Der Leadgitarrist war verschwunden (G + P versuchen seitdem Herrn Frehley bei jeder Gelegenheit in den Dreck zu ziehen) und nun mußte eine Lösung her – und zwar schnell. Was macht man da? Man steckt den ehemaligen Roadmanager, der früher mal in einer KISS-Cover-Band den Spaceman gespielt hatte, in die Maske und das Kostüm von Ace Frehley und trägt ihm auf die Gitarrenparts und Gestiken von Ace 1:1 zu übernehmen. Gute Idee, nicht wahr!? NEIN! Es wurde allerdings so beschlossen und Berichte aus den Staaten besagen, daß die Zuschauer über Jahre dachten, daß immer noch Ace Frehley auf der Bühne stünde. If we can trick the states, we can trick everybody….
Zugegeben, ich habe mir TBFKAK (The Band Formaly Known As KISS) in den Jahren 2008 und 2010 in Hamburg angesehen und war schwer enttäuscht! Ich war nicht nur enttäuscht darüber, daß es zwei Möchtegern-Stars auf der Bühne gibt, die versuchen riesige Schuhe auszufüllen die sie niemals hätten anprobieren dürfen, sondern, daß Paul Stanley’s Stimme leider (und das meine ich sehr ernst) total im Arsch ist! Der Mann hatte früher eine der markantesten und besten Stimmen im Rock and Roll und nun krächzt er vor sich hin und merkt es noch nicht einmal.
Es ist ja nicht schlimm (es ist schade), wenn ein Sänger seine Sangeskraft verliert, aber daß er immer noch so tun muß als ob er Pavarotti wäre erschließt sich mir nicht wirklich.
Epilog 😉
Im Jahre 1980 wollte ich unbedingt zum KISS-Konzert in der Hamburger Ernst-Merck-Halle (gibt es leider nicht mehr). Das Konzert wurde aber abgesagt (da sich Gene Simmons, Zitat aus einer der führenden Musik-Zeitschriften 😉 „Mit seinem speziell für seinen Feuerspucktrick konstruierten Mundeinsatz die Speiseröhre verletzt hat.“) Nun wissen wir, daß Peter Criss’ Ausstieg/Feuerung aus der Band der Grund war. Jedenfalls wurde die Tour auf den Herbst desselben Jahres verschoben und ich habe nicht mehr an ein Erscheinen meiner Rock-Götter geglaubt. Die Tour wurde tatsächlich im Herbst mit Eric Carr am Schlagzeug nachgeholt und ich war nicht da. ☹ Ich ärgere mich noch heute darüber!
Nun werden KISS am 02.06.2015 in Hamburg spielen und ich werde FREIWILLIG nicht zum Konzert gehen. So schließt sich der Kreis.
Fast hätte ich es vergessen: Die Fans, die heutzutage Fans verurteilen, daß sie KISS mit den neuen Mitgliedern in den alten Masken nicht akzeptieren, haben ihre Auszeit in den 80ern genommen und die Band nicht mehr verstanden – ICH war bis 2001 IMMER da!!! Soviel dazu!
Da sehe ich mir lieber am 10.06.2015 Ace Frehley solo im Grünspan an – ICH FREUE MICH WIE BOLLE!!!!”
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.