“Yanomami-Spitznamen sind nicht immer schmeichelhaft. Mein Vater hat mir von einem Mann aus einem Nachbardorf erzählt, der den Namen Shamaposiwe trug – Arschloch eines Tapirs.” Überhaupt hat David Good beinahe das gesamte Wissen über seine indigene Herkunft – auch die weniger intimen Details (denn die Namen orientierten sich wohl an Tatsachen) – von seinem Dad. Das meiste nicht persönlich, denn die beiden Männer eint eine tiefe aber nicht sehr wort- und emotionsreiche Verbindung.
David Good kennt das Groß seiner Vergangenheit aus einem Buch. Das Werk, das als Ergebnis der zahlreichen Exkursionen eines Anthropologen, der Mitte der siebziger Jahre in den Amazonas-Dschungel zog, das Leben der Völker fernab der Zivilisation studierte und eine Frau heiratete, übrig blieb. Neben diesem Buch sowie diverser Medienberichte über das exotische Leben sind auch drei Kinder aus der Zeit hervorgegangen: David Good und seine beiden Geschwister. David, das älteste der Drei, hat noch die meisten eigenen Erinnerungen an die Frau, die barbusig Körbe durch den Regenwald trug und in einer Hängematte schlief, deren Nase und Unterlippe mit Hii-hi-Stäbchen gepierct waren (was übrigens nicht weniger komisch aussieht als die gigantischen Ohr-“Tunnel” unserer ach so normalen Welt – danke für die Bilder!) – und die mit einer typischen US-Frauenfrisur, in eine Jeans gepackt, vor einer Portion Pommes von McDonalds (wo ich übrigens nie essen gehe *schleichwerbungaufheb*) eine ebenso gute Figur machte. Die Frau, die der zivilisierten Welt entfloh, als ihr Ältester etwa fünf Jahre alt war, und in ihre Heimat zurückkehrte. Die Frau, die seine Mutter war, “Yarima”. Von ihrer Identität wusste David Good in seiner Jugend praktisch mehr als über seine eigene.
Und weil Rückzug, Ausreißen, Komasaufen, Panikattacken und schließlich ein (halber) Selbstmordversuch auch keine Antworten brachten (seine Familie übrigens auch nicht, weil sein Vater wie erwähnt sehr schweigsam war, seine Geschwister damals zu jung und seine Mutter im Dschungel nicht über Handyempfang verfügte) – machte er es einfach seinem Vater nach: Er reiste als junger Erwachsener ins Dorf Koripi-wei, machte sich mit den Gepflogenheiten dort vertraut, heiratete und schrieb darüber ein Buch. Ganz so homogen sind die Geschichten zugegebenerweise nicht: Während sein Vater in wissenschaftlicher Mission in den Süden Venezuelas zog, großzügig finanziert, musste David Good ordentlich Geld eintreiben, um sich seinen persönlichen Wunsch zu erfüllen. Er ging der Geschichte auf die Spur, von der sein Vater selbst Teil gewesen war. Während sich sein Vater nach schlechten Erfahrungen längst aus Öffentlichkeit und Politik zurückgezogen hatte, rollte er den Culture Clash neu auf. Und noch etwas darf nicht vergessen werden: Auch David brachte nach seinem Abenteuer ein Kind zur Welt – aber nicht mit seiner “Ehefrau” (beziehungsweise einer seiner zwei Ehefrauen) aus dem Dschungel, sondern seiner Liebe in Pennsylvania. Vielleicht auch oder gerade weil er selbst als Kind zweier Welten aufwuchs und um die Schwierigkeiten weiß. Um solche in Zukunft abzubauen, hat er im Anschluss – Happy End – die gemeinnützige Organisation “Good Project” gegründet, um indigene Völker zu unterstützen. So kann er seine Mutter – die den Dschungelgesetzen zufolge vermutlich nicht sehr alt werden wird – in naher Zukunft noch häufiger besuchen und sie möglicherweise auch mit seinen Geschwistern (mit Dad hat es schon per Skype funktioniert) zusammenführen. Schluchz.
David Good: meine Dschungelmutter (Wie ich bei den Yanomami-Indianern meine Wurzeln fand),
Rowohlt-Taschenbuch,
10,99 Euro (E-Book: 9,99 Euro),
erschienen am 21. Mai 2016
Fazit: Okay, okay: “Meine Dschungelmutter” ist eine echte Bio-Schnulze. Aber David Good auf seiner Reise zu begleiten ist trotzdem abenteuerlich. Kritik: Der Reise-Teil hätte ruhig etwas ausführlicher und der selbsttherapeutische Ansatz etwas geringer ausfallen können, aber sei es David Good gegönnt. Yanomami sind Rock´n´Roll! Lesezeit: 349 Seiten in 3 Tagen
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.