„Diese beknackten Penner gehen mir auf den Sack. Die sollen aufhören in anderer Leute Müll herumzuwühlen. Ich hasse diese Typen. So was nutzloses, so ein Scheiss.“ „Nun reg dich mal nicht so auf, Schatz.“
Charlotte hatte es auch langsam satt. Seit 20 Jahren jeden Monat die selbe Aufregung, seit 20 Jahren regte sich Charlottes Mann Heinz Monat für Monat über Sperrmülltouristen auf, wie er sie in seinen freundlicheren Momenten nannte. „Polen, Letten, Russen, Türken, sogar Deutsche durchwühlen den ganzen Dreck. Die werden immer frecher.“
Charlotte nickte nur gedankenverloren. „Stell dir vor, gestern hat einer geklingelt, als du zum Einkaufen warst. Hat gefragt, ob ich eventuell, vielleicht, zufällig irgendwelche Elektroartikel im Haus hätte, die ich nicht mehr brauchen würde. Sie müssten nicht einmal kaputt sein, hat der Spacko von sich gegeben. Frechheit.“ Sie brühte sich einen Kaffee auf und beschloss die Ohren auf Durchzug zu stellen. Wenn er einmal anfing mit seinen Hasstiraden, gab es sobald kein Ende.
„Nicht nur, dass die im Müll von ehrlichen Bürgern herum wühlen, die verpesten mit ihren ollen Diesel-Bussen auch noch die ganze Gegend hier.
Wer weiß, was die da reinschütten. Unser gutes altes Diesel ist das sicher nicht, das stinkt längst nicht mehr so. Das ist bestimmt Heizöl oder so’n Scheiss. Ja, Heizöl. Oder Biogas, vermischt mit anderen Giftstoffen oder so was. Keine Ahnung, was die sich da zusammenbrauen.“ Heinz verließ die Küche und Charlotte schloss die Tür hinter ihm. Sie war allein, endlich. Nicht, dass sie sich das wünschte. Eigentlich war sie gerne mit Heinz zusammen, immer noch. Ihre Ehe war keine schlechte gewesen in den letzten 20 Jahren.
Klar, die Sturm- und Drangjahre ihrer Liebe waren vergangenen und an den letzten Sex konnte sich Charlotte auch nicht mehr so wirklich erinnern. Aber, war Sex denn alles? War es nicht, hatte sie beschlossen, und außerdem stellte sie sich mittlerweile auch etwas anderes unter Sex vor als einen dicken, schwitzenden Klops auf den Bauch geschnallt zu bekommen, der nach vier oder fünf Minuten erschlafft von ihr herunter rollte. Immerhin, das gemeinsame Einschlafen war schön, das war es immer geblieben. Sie lasen gemeinsam, manchmal sogar sich etwas vor, und redeten immer noch miteinander. Das war viel wert, fand Charlotte. Das kennen meine Freundinnen doch gar nicht von ihren Typen.
Nur einmal im Monat ging Heinz ihr wirklich gehörig auf den Wecker. Nicht nur, weil sich sein meist versteckter Rassismus zu Wort meldete. Auch ihr ging der Dieselgestank auf den Nerv, vielmehr aber, dass sie an den Abenden vor dem Sperrmülltag nie einen Parkplatz in der Nähe des Hauses bekam, weil dort VW-Busse, Kombis oder Mofas mit Anhängern parkten.
Trotzdem hatte sie niemals den blanken Hass, ja das war es mittlerweile, verstanden, den Heinz in seinen Augen aufblitzen ließ, wenn er die ersten Sammler erstarrte. Naja, morgen würde das wieder vorbei sein und sie hätte wieder einen Monat Ruhe vor seinen Wutattacken. Eigentlich ist er doch ein prima Kerl, dachte Charlotte und füllte ihre kleine Tasse mit frischem Kaffee. Ein frischer Kaffee hatte stets noch all ihre Sorgen vertrieben.
„Die kleinen Wichser. Jetzt wühlen sie schon wieder in dem Haufen der Lehmanns gegenüber. Da is’ ja nu wirklich nix mehr zu holen.
Ich verstehe diese Asozialen nicht. Was kann man mit einem abgefackelten Toaster anfangen, was nur? Den kann man doch wirklich nicht mehr reparieren. Oder verticken die den ganzen Scheiss an die anderen Eingeborenen in den Ostblockländern? In was für einer Welt leben wir nur.“ Heinz zog die strahlend weißen Gardinen zurück und öffnete das Fenster. „Verschwindet Ihr Halunken. Nix klau hier in der Herzogstraße, ihr Spastiker.“ Er erhob bedrohlich den Arm und ballte die Hand zur Faust. Die beiden Männer unten auf der Straße kümmerten sich nicht um seine Rede und suchten weiter in dem großen Sperrmüllhaufen der Lehmanns.
„Irgendwann lege ich den Säcken ‘ne Bombe in den ganzen Scheisskram, dass die alle in die Luft gehen während sie den Müll durchsuchen. Das wäre echt ein Fest. Irgendwann…“, Heinz stockte im wahrsten Sinne des Wortes der Atem. „Was wäre“, stammelte er aufgeregt in seinen Vollbart, „wenn heute IRGENDWANN wäre?“ Er musste sich setzen, musste planen. Ein Bruchteil einer Sekunde hatte ausgereicht, um die Entscheidung zu treffen. Heute sollte der Tag sein, an dem er es den Sperrmüllern, wie er sie oft nannte, heimzahlen wollte. Aber wie? „Eine Bombe ist unrealistischer Quatsch“, murmelte Heinz.
„Es muss etwas sein, dass schnell besorgt werden kann, etwas, dass nicht so gefährlich wie eine Bombe ist, aber doch schreckliche Auswirkungen haben wird. Eine Bombe wäre viel zu gut für dieses Pack. Es muss etwas sein, dass sie nicht umbringt. Tote erzählen nichts von ihren fürchterlichen Erlebnissen im guten alten Deutschland.“ Die Küchentür wurde aufgestoßen und Charlotte stand im Wohnzimmer.
„Was murmelst du da? Regst du dich immer noch so schrecklich auf? Das kann einem ja auf den Geist gehen.“ Sie schaute ihren Mann tadelnd an. Heinz bemerkte, wie sein Kopf hochrot anlief. „Nein, ähh, ich. Du hast recht. Es schadet nur meinem Herzen, wenn ich mich so aufrege.“ Er ließ sich in den weichen Fernsehsessel plumpsen. „Das ich das noch erleben darf“, sagte Charlotte lächelnd und strich ihm durchs schüttern gewordene graue Haar. „Entspann dich Schatz, reg dich ab.“ Sie setzte sich auf die Sessellehne und schlang einen Arm um Heinz. „Du hast recht, wie immer, mein Liebling. Du hast so recht. Ich gehe einfach einmal eine Weile spazieren und rege mich ab. In den Wald vielleicht. Es ist doch so schönes Herbstwetter.“
„Genauso musst du denken. Lass uns spazieren gehen.“ Heinz legte die Stirn in Falten. „Nein, ich, ähh. Würde es dir was ausmachen, wenn ich ‘ ne Stunde für mich allein hätte?“ Er schob eine Hand unter Charlottes grauen Hauskittel und streichelte behutsam ihre Schenkel. Ich wusste gar nicht mehr, wie sich das anfühlt, ertappte sich Charlotte, bevor sie seine Frage beantworten konnte. „Nein, geh du nur. Ich werde dann mal Susanne besuchen, ein wenig klönen. Über alte Zeiten reden und son Zeugs.“ Heinz war erleichtert. „Na, da wird sie sich freuen“, sagte er automatisch und plötzlich leuchtete ein blitzender Gedanke durch sein Hirn.
„Sollen wir heute Abend zusammen kochen, was Tolles essen? Ich bringe Steaks mit.“ Charlotte war platt. „Du machst…Was?“ „Steaks, erinnerst du dich? Fleisch vom Rind, sehr lecker. Dazu machen wir Knoblauchkartoffeln und eine Pfeffersauce. Wie wäre das?“ Charlotte rutschte von der Lehne des Sessels. „Das wäre einfach großartig. Das haben wir so lange nicht mehr getan.“ Heinz erhob sich und streckte ihr die Hand entgegen, um sich hochzuziehen. Dann machen wir das so. Punkt sieben erwarte ich dich wieder zurück von Susanne.
Die Steaks sind dann in der Pfanne, die Kartoffeln fertig, der Tisch gedeckt. Wir feiern einfach ein wenig. Ne Kerze stell ich auch noch auf.“ Charlotte stand wieder auf ihren Füßen, glaubte aber zu schweben. „Was feiern wir denn?“ „Ach, einfach irgendetwas. Vielleicht meinen Sieg über die Sperrmüller? Ich meine natürlich den Sieg über den Ärger über die Sperrmüller“, verbesserte er sich hastig. Sein Hirn lief auf Hochtouren und fast hätte sein Mund ihn verraten. Menschen sind schon was Verrücktes, dachte er, als er seinen Geldbeutel mit der Kreditkarte in den warmen Herbstmantel steckte und zur Wohnungstür hastete. „Ich geh dann mal. Bis später Schatz.“
„Eigentlich müssen Sie einen Jagdschein haben, um eine Bärenfalle zu erwerben, mein Herr.“ Heinz ließ die scharfen Metallkanten der Bärenfalle immer und immer wieder zuschnellen. Klatsch! Klatsch! Klatsch! Klatsch! „Hören Sie?“ Klatsch! „Ja, ich habe Sie ja verstanden, aber ich brauche diese Falle, um den elenden Viechern auf meinem Grundstück ein für alle Mal eine Lektion zu erteilen.“ Klatsch. „Was für Viecher denn? Bären gibt es doch hier gar nicht.“ Klatsch! „Nein, natürlich nicht. Was denken Sie, was ich bin? Saudumm?“ Klatsch!
„Schönes Gerät, sehr präzise“, fügte er etwas freundlicher hinzu. Klatsch! „Also, was für Viecher denn dann?“ So langsam regte Heinz der penetrante Verkäufer gehörig auf. Außerdem kam er ihm irgendwie bekannt vor. Klatsch! Den hatte er schon mal gesehen, aber wo nur? „Welche Viecher, mein Herr“, wiederholte der junge Mann.
„Na, diese Viecher halt“, Heinz machte eine Pause, um eine Idee zu bekommen, welche Viecher denn groß genug für Bärenfallen sein könnten. Ihm fiel nichts Gescheites ein, außerdem war sein Gehirn noch damit blockiert zu überlegen, woher er den Verkäufer nur kannte. Klatsch! „Na, wir haben doch diese Rattenplage oben am See.“
Etwas besseres war ihm nicht eingefallen, was Heinz immens ärgerte. „Ratten? Sie wollen doch nicht Ratten mit Bärenfallen töten, oder? Die sind doch viel zu klein, da nehmen Sie besser Gift.“ Eine Gedanke durchfuhr Heinz, er fasste einen neuen Plan. Er wollte es auf die „ehrliche“ Tour versuchen.
„Naja, Sie haben ja recht. Ich habe geflunkert. Ich…“, Heinz hielt inne, dann begann er zu flüstern, „ich habe damit etwas anderes vor, aber ich will das hier nicht so rumposaunen.“ Er musste Zeit gewinnen und ließ ein letztes Mal die Fall zuschnappen. Klatsch! Der junge Verkäufer schaute über den Rand seiner Brille, doch der skeptische Blick täuschte Heinz nicht. Er hatte ihn an der Angel. Die haben hier schon ganz andere Sachen verkauft, da könnt ich wetten. Und das ohne Jagdschein, dachte er. „Na, dann folgen Sie mir bitte“, sagte der Brillenmann und wies auf einen Raum hinter der Theke. Er schloss die Tür hinter Heinz. Der Wald, durchströmte es Heinz. Ich habe ihn bei einem Spaziergang gesehen. Wie er mit seinem Schäferhund spielte. Stöckchen werfen und so’n Dreck.
„Diskretion ist wichtig in unserem Geschäft“, sagte der Verkäufer. „Es ist wirklich ganz harmlos“, begann Heinz, der nun genau wusste, wie die Geschichte auszusehen hatte, die ihm ohne Vorlage eines Ausweises eine Bärenfalle verschaffen würde.
„Unser Nachbar hat einen blutrünstigen Pittbull, müssen Sie wissen. Und dieses Monster hat unsere Susi zerfetzt.“ Heinz schaute bemitleidenswert, was in dem jungen Mann sofort eine Reaktion bewirkte. „Das ist ja schrecklich. Was war Ihre Susi für ein Tier?“ „Meine treue Schäferhündin. Sie war schon alt, hat über zwölf Jahre auf unseren Hof aufgepasst. Bis diese Kreatur kam.“ Der Verkäufer schluckte.
„Und nun wollen Sie Rache!“, flüsterte er. „Rache, hmm. Das ist so ein unschönes Wort. Aber Sie müssen wissen, Susi war so etwas wie eine Tochter für Charlie und mich. Wir konnten nie Kinder bekommen. Da war Susi mehr als ein Ersatz. Sie war ein Familienmitglied, ganz und gar“, Heinz fühlte sich großartig. So gut hatte er lange nicht mehr gelogen. Um es auf die Spitze zu treiben, schaffte er es eine Träne aus dem rechten Auge fließen zu lassen. Der Verkäufer schien kurz davor zu sein ebenfalls in Tränen auszubrechen.
„Ich weiß, was Sie meinen“, flüsterte er leise. „Das glaube ich nicht“, bereitete Heinz den Todesstoß vor. „Sie haben schließlich nicht die herumfliegenden Eingeweide unserer Susi gesehen, sie habe nicht zugeschaut, als der Pittbull seine gierigen Zähne in den Hals unseres Schatzes gestoßen hat. Wie ein Vampir, der nicht ruhen kann, ehe er das Blut seines Opfers gänzlich aus dessen Adern gesogen hat. Der junge Verkäufer ging in die Hocke. „Hören Sie auf, bitte. Das ist ja schrecklich.“ Er hatte seine Brille abgenommen und wischte sich über das Gesicht. „Ich werde Ihnen helfen“, stieß er entschlossen hervor. „Das muss aber wirklich unter uns bleiben.“
„Zwei Steaks bitte, aber schön große. Am besten die da“, Heinz zeigte mit den Fingern auf zwei riesige Lappen Fleisch in der Kühltheke der Metzgerei. Die beiden Steaks wurden ihm eingepackt und er schob die Tüte in den großen Karton in dem eine nicht mehr ganz neue, dafür aber gänzlich unregistrierte Bärenfalle untergebracht war. „Für Susi“, hatte der Verkäufer im Jägerzubehörshop geflüstert und die Falle ihm fast feierlich übergeben. Sogar Prozente hatte es noch gehagelt auf den Kaufpreis, da die Falle nicht mehr neu sei, wie ihm der Verkäufer mit dem Schäferhundfimmel erläuterte.
Als Heinz zuhause eintraf, war Charlotte noch nicht da. Das war gut so und ebenso war es auch gut, dass die Spermüller anscheinend eine kreative Pause gemacht hatte. Aber Heinz kannte seine Pappenheimer.
In der Nacht würde sie wieder kommen, würden wieder wühlen, Krach machen, die Dieselautos knattern lassen, ihm den Schlaf rauben wollen. Da Heinz selbst keinen Sperrmüllhaufen vor der Tür hatte, beschloss er die Falle in den Haufen der Lehmanns zu stecken. Das sollte ihm dann erst einmal einer beweisen, dass er das Ding da reingesteckt hatte. „Ich kann ja außerdem wegwerfen, was ich will“, redete er fast lautlos vor sich hin. „Und wenn es eine gespannte Bärenfalle ist.“ Er lachte wie irre auf und warf einen Blick auf das Mordinstrument, das schon leicht angerostet war an den Seiten. Die Metallklingen waren aber noch sehr scharf und schienen sogar geschliffen worden zu sein. „Das ist bestimmt verboten, die Dinger sogar noch zu schärfen. Scheiß Greenpeace“, rief er in das leere Schlafzimmer. Er öffnete den Kleiderschrank und kramte aus einer der hinteren Ecke eine noch nahezu unbenutzte Sporttasche hervor. Adidas. Mit fluoreszierenden Haltern. „Das leuchtet schön, wenn Ihr mit euren Schrottautos anbraust.“ Heinz legte die Falle in die Tasche. Spannen wollte er sie erst unten, sicher ist sicher. Außerdem musste er noch etwas verlockendes finden, dass er halb aus der Tasche lünkern lassen konnte. „Ein Anreiz ist wichtig“, sprach Heinz mit sich selbst, auf der Suche nach einem Gegenstand, den er entbehren konnte, der aber kein totaler Schrott war. Elektrogeräte! Das war’s! Die Müllsammler schienen ja völlig auf den Elektroscheiß abzufahren.
Er lief ins Arbeitszimmer. Neben seinem PC und seiner Stereoanlage, stand unter einem kleinen Fernseher ein etwas betagter, aber immer noch gute Dienste leistender Videorecorder. In der Tat waren dessen letzte Dienste schon einige Jahre her, weil Heinz fast immer, wenn er eine Sendung aufzeichnen wollte, den Stereo-Videorecorder im Wohnzimmer nutze. Videofilme schaute er sowieso schon lange nicht mehr. Außerdem hatte er seit einer gewissen Weile die fixe Idee, einen DVD-Player haben zu müssen. Heinz entfernte die Verkabelung am Videorecorder und legte die einzelnen Kabel sorgfältig in die Sporttasche.
Mit einem feuchten Tuch wischte er akribisch über den Recorder, der nach nur wenigen Minuten blitzte und blinkte. „Voila“, rief Heinz aus. „Sieht ja fast aus, wie neu.“ Er lächelte zufrieden, sein Gesicht nahm entspannte Züge an, als er den Recorder in die Tasche legt. Gerade so weit, dass man den Schriftzug fast perfekt lesen konnte. PONEER. Das „I“ fehlte schon seit Jahren. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte, dass es ein Glückstag zu sein schien. Freie Bahn! Heinz ging zum Haufen der Lehmanns und legte die Tasche mitten rein. So fällt das nicht so auf, dachte Heinz, den es leicht schauderte, als er die Falle spannte. Doch es geschah nichts. Die Falle ließ sich perfekt „scharf machen“, wie er es im Geschäft genannt hatte. Er musste keine Angst um seine Finger oder Arme haben.
Heinz schaute verstohlen nach links und rechts, nach oben in die Fenster, nach unten auf den Boden – nichts! Niemand da, es hätte besser nicht laufen können.
Das Blut glitt von seinen Händen. Er hatte seine Finger darin nahezu gebadet. Er mochte es, wenn ein Steak noch ein wenig blutig war. Nicht englisch, also beinahe gänzlich roh, aber doch Medium gebraten mit einem Hang zum Ausfluss des roten Lebenssaftes.
Die Kartoffeln standen schon auf den Tisch, jetzt könnte Charlotte aber bald mal kommen, dachte Heinz, als er die Bohnen aus Pfanne holte. Seit er angefangen hatte, das Abendessen vorzubereiten, waren wieder ohne Unterbrechung Sperrmüllsammler durch die Straße gedüst. Einige blieben stehen, einige fuhren weiter. Der Videorecorder schlummerte noch unentdeckt in seiner Sporttasche.
Heinz trug die Steaks in der Pfanne ins Wohnzimmer, wo er sie direkt auf die Teller legen wollte. Würde er halt alleine essen, wenn die alte Schnepfe darauf keinen Wert legte.
In der Vernehmung bei der Polizei sagte Heinz später, dass es nur eine Sekunde war, die sich gegen ihn verschworen hatte. Eine lange Sekunde, in der ein ein laut hupender Diesel-Bus über die Herzogstraße raste. In dieser Sekunde entschied sich alles weitere. Heinz hörte das Quietschen von alten Bremsbelägen. Der dicke Mann sprang auf und eilte wutentbrannt zum Fenster. Charlotte, die immer sportlich gewesen war, sprang in Panik mit einem Hechtsprung von der Straße, die sie gerade überqueren wollte, als der hupende russische VW-Bus auf sie zugerast kam. Es war ein eleganter Sprung, trotz der Hektik und der Panik.
Sie wusste genau, was sie tat. Sie wollte weich fallen und Heinz sah mit aufgerissenen Augen, wie Charlotte in den Sperrmüllhaufen der Lehmanns sprang. Sie steuerte geradezu auf die Sporttasche zu und… landete sanft daneben auf einem alten Sofa, das Klaus Lehmann am Mittag unter immensem Aufwand aus dem Haus geschleppt hatte. Glück gehabt, dachte Charlotte, bevor sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. „PONEER. Das ist doch der Videorecorder von Heinz“, sagte sie, als hätte ihr Gedächtnis die Aufregung um den Beinahe-Verkehrsunfall bereits verdrängt. „Wie kommt der denn da rein, der ist doch noch top in Schuss.“
„Glück gehabt“, sagte Heinz hinter dem geschlossenen Fenster bevor er sah, was Charlotte vorhatte. „NICHT! NICHT REINFASSEN! AUF KEINEN FALL REINFASSEN!“
Charlotte hatte Pech, wie der Gerichtsmediziner ihrem Mann Heinz einen Tag später traurig erzählte. Enormes Pech. Und Heinz verstand erst dann, was er gesehen hatte und was eigentlich geschehen war. Heinz sah hinter dem Fenster stehend, wie Charlotte in die Sporttasche griff und den Videorecorder heraus zog, als gebe es die Bärenfalle gar nicht. Sie legte den Recorder behutsam neben sich auf das Sofa. Heinz schrie in grenzenloser Panik, als er beobachtete, wie Charlotte den Kopf in die Sporttasche steckte. Er riss das Fenster auf.
„Da ist doch noch was drin“, murmelte sie und erblickte die sorgfältig zusammengebundenen Kabel des Videorecorder und ein großes Metallgestell, das die Tasche voll ausfüllte und in deren Mitte sich ihr Kopf nun befand. Das Metall blitze ihr entgegen, als sie die rechte Hand in die Tasche nachschob. Sie berührte das Metall und das letzte, was sie spürte war, wie eine messerscharfe Klinge ihr in den Hals hieb und das Leben aus ihrem Körper trieb, während eine Blutfontäne die umstehenden Sperrmüllsammler in einen warmen Regen tauchte.
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.