Flügel wachsen einem als Zuschauer bereits, bevor die ersten Töne des Folk-Klassikers „Fare thee well (Dink´s Song)“, der schon die Trailer zu „Inside Llewyn Davis“ begleitet hat, auch nur angeschlagen sind. Nicht, um zu flüchten, keineswegs, sondern vielmehr, um sich einzulassen auf eine 105-minütige Reise in die New Yorker Musik-Szene der beginnenden 60er Jahre. Dahin, wo ein gewisser Bob Dylan einst eine Weltkarriere auf den Weg brachte. Und dahin, wo ein fiktiver Llewyn Davis (lose von der Lebensgeschichte und der Musik Dave Van Ronks inspiriert, gespielt von Oscar Isaac) von Bar zu Bar zog, als jene noch Talente schmiedeten, und von Sofa zu Sofa wanderte, als Couchsurfing noch kein Modetrend war. Nicht das Tellerwäscher-Märchen sondern das Pechvogel-Porträt ist schließlich Trademark der Coen-Gebrüder. Und die zeichnen zugleich für Regie, Drehbuch, Produktion und auch Schnitt verantwortlich.
Verleger Mel hat statt Tantiemen für Llewyn bloß einen Wintermantel. Es läuft mit dem Debütalbum nicht gut. Auch die Kneipen-Gigs im Greenwich Village spielen dem Folk-Gitarristen nicht viel ein. Sein Duo-Gegenstück hat Suizid begangen, die Katze des Ehepaars Gorfein (Ethan Philips und Robin Bartlett) muss er vorübergehend sitten weil er sie ausgesperrt hat und Freundin Jean (Carey Mulligan) plant einen Schwangerschaftsabbruch, weil Davis und nicht etwa ihr Partner Jim (Justin Timberlake) Vater des Ungeborenen zu sein scheint.
In Chicago hofft Llewyn auf eine Chance bei Produzent Bud Grossmann, der aber will ihn in ein Trio stecken statt ihn solo auftreten zu lassen. „Und das Glück steht vor dir an der Straße. Und hält den Daumen raus“, dudelt Maxims „Rückspiegel“ derzeit durch die Radios und so scheint es auch bei Llewyn im Film. Zu sehr ist der mit sich, seinem Schicksal, seinen eigenen Vorstellungen behaftet, als seine Zukunft vorantreibend zu gestalten. Der ihm angebotene Part spielt auf das reale Trio Peter, Paul und Mary an, welches später zu einer der erfolgreichsten Folkgruppen der USA aufstieg. Gelegenheit verpasst. Selbst seinen Traum aufzugeben gelingt dem Unglücksraben nicht: Um zur Handelsmarine zurück zu kehren, fehlen ihm die Papiere. Während der gescheiterte Llewyn in einer Hinterhofgasse schließlich noch Prügel bezieht, stimmt Dylan im Innern der nahe gelegenen Kneipe „Farewell“ an.
Eine Woche im Leben des Protagonisten reichen dem Zuschauer, um zu wissen: Der Durchbruch wird ihm niemals gelingen. Sein Leben wird er leben, vermutlich, sich durchschlagen. Aber die große Karriere, die bleibt ihm vorbehalten, für immer. Aber wie auch, wenn gar John Goodman als drogensüchtiger Jazz-Musiker Roland Turner ihm keinen Mut machen kann. „Folksongs“, murmelt der bei deren gemeinsamen Tour gen Chicago, einer der besten Momente im Film, „Hast du nicht gesagt, du bist Musiker?“ Den Zuschauer hingegen schaffen die Coens mit einer geschickten Prise Humor stets aus dem Gefühlstief, in welches der unglaublich gut spielende Isaac sie hineinstürzt, wieder herauszuziehen. So verlässt man den Saal schließlich weder weinend noch lachend, sondern absolut in seiner Mitte, grübelnd vielleicht, über all die aufgeworfenen und nie zu Ende erzählten Lebensarme, komplett entschleunigt aber und mit der brennenden Frage, woher man am schnellsten den Soundtrack – übrigens alles von den Darstellern selbst vorgetragen – bekommen kann. Sechs Gitarren. Alles richtig gemacht.
Inside Llewyn Davis, 105 Minuten, seit 5. Dezember 2013 im Kino
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.