Interview mit Jeffrey Thomas

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Jeffrey Thomas wurde am 3. Oktober 1957 geboren und ist Autor grandioser Sci-Fi-Epen. Seine erschaffene Stadt Paxton, kurz Punktown genannt, begeistert rund um den Globus Science-Fiction und Horror-Fans. Seine Kurzgeschichten wurden unter anderem in St. Martins The Year’s best Fantasy and Horror # 14, The Year’s best Horror Stories # 12, The Year’s best Fantastic Fiction und Quick Chills II: The Best Horror Fiction from the Speciality Press veröffentlicht. Der RocknRoll-Reporter hat sich ausführlich mit Thomas unterhalten.
 

RRR: Zunächst einmal Jeffrey, würdest du gern in Punktown leben?

 

JT: Vielleicht nicht dort leben, denn es ist ein gefährlicher Ort, aber ich würde dort liebend gern regelmäßig zu Besuch sein, weil es ebenso ein reichlich faszinierender Ort ist. Das ist die Sache mit Punktown – ich möchte nicht, dass es nur unheimlich ist. Unsere eigene Welt ist nicht nur Angst einflößend. Sie ist vielschichtig, und Punktown genauso – nur vergrößert. Ich sehe Punktown wirklich nicht als absolute Dystopie. Ich denke, es ist auch schön dort, teilweise.

 

RRR: Wenn ich mir deine Biographie anschaue, dann scheint es, als hätte der Autor in dir lange geschlafen. Wann hast du zu schreiben begonnen und wie hast du eine ganze Stadt erfunden?

 

JT: Eigentlich begann ich in sehr jungem Alter zu schreiben (meinen ersten Roman beendete ich mit 14); es ist bloß so, dass es eine lange Zeit gedauert hat, bis meine Werke veröffentlicht wurden. In den späten 80er Jahren begann ich, Kurzgeschichten an kleine Pressepublikationen zu verkaufen, und meine ersten beiden Bücher – die englischsprachige Punktown-Ausgabe und die Horrorsammlung Terror Incognita – erschienen im Jahr 2000. Seitdem habe ich viele Bücher veröffentlicht, einige davon wurden ins Deutsche, Russische, Griechische und Chinesische übersetzt, und diese Bücher enthielten viel von dem Stoff, den ich bereits in den 80ern geschrieben hatte, bloß eben erst spät verkaufen konnte. Zur Herkunft von Punktown: Die ganze Idee kam mir 1980 – als hätte sie im Schatten meines Unterbewusstseins nur darauf gewartet. Ab dann begann ich Romane zu schreiben, die in Punktown spielen, später kamen Kurzgeschichten dazu, vermutlich habe ich genauso viel unveröffentlichtes Punktown-Material wie veröffentlichtes. Und ich schreibe weiter!

 

RRR: Irgendwo las ich etwas über eine mysteriös verloren gegangene Punktown-Homepage. Ist daran etwas Wahres und wenn, was ist passiert?

 

JT: Im Jahr 2000 erschuf ich zur Vermarktung der Punktown Originalausgabe eine kostenlose Webseite namens „Punktown City Limits“ und ich war ziemlich erfinderisch. Wenn man auf verschiedene Seiten schaute, spielten Musik und von mir verzerrte Soundeffekte im Hintergrund, und ich stellte seltsame Bilder und von mir erschaffene Kunstwerke ein, und ich schrieb kleine Geschichten darüber. Ich postete Probegeschichten in voller Länge. Und dann, ohne ausreichende Warnung, wurden all diese freien Webseiten eingestellt, bevor ich die Chance hatte, sie irgendwohin zu verschieben oder zu speichern, oder sie zumindest auszudrucken, so verlor ich die Kurzgeschichten. Es ist traurig, es war eine lustige kleine Seite, und ich fand niemals die Zeit, wieder etwas ähnliches zu erstellen.

 

RRR: Wenn ich mir Punktown als Kinofilm vorstelle, sehe ich ich etwas zwischen dem Sin City- Filmstil und Blade Runner trifft den Herr der Ringe. Gibt es Pläne, die Geschichte auf die große Leinwand zu bringen?

 

JT: Ha … Zuweilen ziehen die Leute den Vergleich zu Sin City, aber ich habe bereits lang vor dem Film über Punktown geschrieben – sogar ein paar Jahre bevor Blade Runner erschien. Aber diese Filme fangen etwas von dem Punktown-Gefühl ein, wie auch Das fünfte Element (vielleicht noch stärker). Herr der Ringe? Da bin ich mir nicht so sicher … aber ich habe ihn noch nie gesehen. Es gab tatsächlich einiges Interesse an meiner Punktown-Arbeit. Ridley Scotts Produktionsfirma fragte nach einer Kopie meines auf Punktown basierenden Romans Deadstock, als dieser eine lobende Rezension im Publisher`s Weekly erhielt, und New Line Cinema fragte kürzlich nach all meinen Punktown Büchern. Nicholas Cages Produktionsfirma interessierte sich für meinen düsteren Fantasy-Roman Letters from hades, und andere Hollywood-Typen haben sich den Roman auch angesehen. Momentan bin ich im Gespräch mit dem Regisseur von The Blair Witch Projekt. Aber bis heute hat mir niemand ein wirkliches Angebot gemacht. Also warte ich und hoffe, dass es irgendwann passiert. Meine Geschichten sind sehr visuell, was sie für die Filmemacher attraktiv macht, aber sie haben auch gelegentlich komplexe und unkonventionelle Inhalte, was es schwierig oder anspruchsvoll macht, sie in einen Film zu übersetzen. Immerhin wurde eine Reihe meiner Punktown-Geschichten in einer Serie deutscher Hörspiel-CDs von der Firma Lausch umgesetzt, und sie haben da eine brillante Arbeit abgeliefert.

 

RRR: Wächst Paxton weiter oder konzentrierst du dich zukünftig auf andere Geschichten?

 

JT: Beides! Punktown wird weiter wachsen und sich entwickeln, ich bin mir sicher, sogar hinter meinem Rücken, wenn ich mich eine Weile abwende. Aber ich vermute, ich werde weiterhin viele meiner Geschichten auf ewig in Punktown ansiedeln, weil dort alles passieren kann. Es ist eine Szenerie, die sich für so viele Arten von Handlung eignet. Aber ich möchte auch frei sein, über andere Umgebungen zu schreiben, einschließlich unserer eigenen Welt. Eben erst habe ich eine Kurzgeschichte verkauft, die im heutigen Vietnam spielt (welches ich sechs Mal besuchte), Lovecraft’s Cthulhu Mythos einbeziehend, und gegenwärtig arbeite ich an einem Roman aus der Hölle namens The fall of hades, eine Fortsetzung zu meinem Letters from hades.

 

RRR: Deine Sprache ist radikal, manchmal ekelst du deine Leser. Bist du im wirklichen Leben ein Freund der radikalen Worte und Sprache oder ist das „nur“ deine schreibende Stimme? Ekelst du dich manchmal selber beim Schreiben?

 

JT: Ich habe die schlechte Angewohnheit, viel zu fluchen, wie viele Amerikaner könnte man sagen, wenn du jemals einen Martin Scorsese Film gesehen hast! Der Job eines Autoren ist es, eine Reaktion beim Leser hervorzurufen, egal ob es Angst, Tränen oder Gelächter sind. Den Leser zu ekeln ist ein legitimes Ziel, wenn es für die Geschichte nützlich ist. Manchmal ist es eine gute Sache, eine wichtige Sache, den Leser zu ekeln. Wenn ich mich beispielsweise von religiös angetriebenen Mördern abgestoßen fühle, kann ich wollen, dass die Abscheu über einen fiktiven Text den Leser erreicht. Aber Ekel kann mit dem Wunsch, den Leser zu verunsichern, leicht verknüpft sein, Angst in ihnen zu provozieren, zu reiner Unterhaltung statt zum Nachdenken anzuregen. Ekel ist nur eine weitere Farbe auf der Künstlerpalette. Ekele ich mich mit meinem Geschriebenen selbst? Nicht wirklich, nicht mehr als ich mich selber erschrecke. Seit das Schreiben eine intellektuelle Praxis ist, realisiere ich, dass was ich schreibe erschreckend oder ekelig ist – würde ich den selben Stoff in dem Buch eines anderes lesen, würde es mich klar erschrecken oder ekeln – aber ich scheine immun gegenüber meinen eigenen Werken zu sein. Merkwürdigerweise jedoch kann ich mich mit meinen eigenen Geschichten zum weinen und lachen bringen oder mich selbst erregen. Also ich weiß nicht genau, warum ich mich nicht erschrecken oder ekeln kann.

 

RRR: Woher erhältst du deine Inspiration? Und wie gefällt es dir, dass in Deutschland Bilder von HR Giger die Titel deiner Romane zieren? Ist das für dich ästhetisch, wenn du an das Punktown-Kunstwerk denkst?

 

JT: Ich erhalte meine Inspiration von überall her. Aus dem wirklichen Leben, von Orten und Menschen, die ich kenne, aus Träumen, von Musik, die ich höre, aus Büchern, die ich lese, Filmen und Videospielen (aber man sollte vorsichtig „Inspiration“ von „Einfluss“ trennen sage ich immer). Giger ist mein Lieblingskünstler, seit ich seine Arbeiten vor dreißig Jahren erstmalig gesehen habe, und er hat mich natürlich inspiriert, er ist der einflussreichste Künstler, den das fantastische Genre jemals gekannt hat. Es hat sich also ein Traum erfüllt – jenseits meiner Träume, wirklich – damit, dass er einverstanden war, mit seiner Kunst die Hardcover-Ausgabe des deutschsprachigen Punktowns (im Festa Verlag) zu zieren. Und er unterschrieb auch jede Kopie dieser Ausgabe. Es ist noch immer schwer für mich, das zu glauben. Übrigens wählte er genau das Bild für das Cover, von dem ich gehofft hatte, dass er es wählt. Er ist ein Genie, dessen Arbeit in seiner eigenwilligen Mischung aus dem Schönem mit dem Revoltierenden, dem Organischen mit dem Mechanischem, nicht übertroffen werden kann.

 

RRR: Du bist mit deinen Kurzgeschichten bekannt geworden. In vielen Ländern (wie Deutschland) gibt es aber keinen Markt für Kurzgeschichten (es gibt dort keine Magazine oder ähnliches dafür). Denkst du, es ist schwieriger eine Kurzgeschichte oder einen 300-Seiten-Roman zu schreiben?

 

JT: Es kann schwerer sein, eine Kurzgeschichte zu schreiben, weil man prägnant sein muss. Es gibt so viel weniger Raum, in dem sich ein Charakter entwickeln und die Handlung aufbauen muss, um den Leser zu fesseln. Aber es geht. Ich habe Gedichte gelesen, die in mir eine größere Reaktion hervorgerufen haben als ganze Romane. Es hängt allein von der Fertigkeit des Schreibers ab. Aber aus irgendeinem Grund gibt es einen kleineren Markt für Sammlungen von Kurzgeschichten als für Romane. Ich weiß nicht, weshalb – Kurzgeschichten sind in der Freizeit so leicht zu verschlingen. Und man könnte argumentieren, dass sich Horrorgeschichten besser für die kurze Form eignen, seitdem sie sich aus gruseligen Lagerfeuergeschichten und beängstigenden, warnenden Märchen entwickelt haben.

 

RRR: Zuletzt unsere Trademark-Frage: Wenn du ein Charakter der Simpsons wärst, wer wäre es und warum?

 

JT: Am meisten ähnele ich Ned Flanders, aber ich bin auch ein tolpatschiger Verlierer wie Homer Simpson, also vielleicht, wenn es einen Teleportationsunfall gäbe – wie im Film Die Fliege – der die beiden vereinte? Habt Angst, habt große Angst … d`oh!

 

Lest das Interview im Original. HIER!

 

Übersetzung: Sara Holz

 

 

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