Hannu Raittila: „Canal Grande“

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Dichter Nebel verklärt einer finnischen UNESCO-Delegation noch Tage nach ihrer Ankunft die Sicht auf Venedig. Sie wurden entsandt, selbst dem Wasser sehr vertraut, die sinkende Stadt als Weltkulturerbe vor ihrem Untergang zu bewahren. Mit nordischer Pragmatik macht sich die Gruppe an ihre Mission – der über Latein kommunizierende Geschichtsdozent Heikkilä, Experte für Kulturgeschichte, der als bautechnische Experte angeheuerte Diplom-Ingenieur Marrasjärvi, dazu Saraspäa, Kunstkenner, Kosmopolit und Kenner des europäischen Geisteslebens, die für Völkerverständigung appellierende Kulturrätin Snell und schließlich die junge Finnin Tuuli als Sprach- und Ortskundige. Erfolgsgarantie verspricht das geballte Expertenteam, doch scheitert die ordnungsliebende Gruppe zügig an der von Sippschaftsgeflechten, Hang zum Illegalen und Verschnörkelungen geprägten Kultur der Südländer. Und deren konsequenten Desinteresse an ihrer bedeutsamen Expedition. Lächelnd begleitet der Leser die Figuren auf ihre Stadttour, zu ihrem ersten Karneval oder aufs Polizeirevier – als Beschuldigte oder bloß, um den Stromschlag durch einen schlecht gewarteten Bürokühlschrank ausgelöst zur Anzeige zu bringen, „aus Prinzip“. Bei einem „echt finnischen Saunabad“ auf dem venezianischen Dach eines fundamental heruntergekommenen Palastes nimmt die Komik ihren Höhepunkt: Absolutes Unverständnis über den im paradox dazu nobel hergerichteten Passanten erschütternden Baustil äußern die aufgeheizten Herren da, Kopfschütteln über das lebensgefährliche Stromnetz, schief in den Angeln hängende Türen „und, Herrgott, die ganze Stadt versinkt im Meer, ohne dass sich jemand groß darum schert!“ – sogar, als die Wasserleitungen einfrieren und das Leben größtenteils lahm legen, feiern die Italiener kräftig weiter. Ordentliche Arbeit, dessen wird man sich unter den Mammuts mit den urfinnischen Denkweisen und einzig zweckmäßigen Lebensweisheiten einig, findet sich allein im Norden, umso südlicher und sonniger die Betrachtung, desto desaströser. So entsteht die amüsante Atmosphäre des Buches durch die charmant-selbstherrliche Mentalität der Figuren, die ihren akribischen Berechnungen und detaillierten Beobachtungen nachgehen, obwohl das Projekt eher schleppend voran geht, derweil in die fremde Lebensweise eintauchen und sich geschwind ihrer doch vorhandenen Torheiten entsinnen. Weder Venedig selbst besucht noch einen Finnen je kennen gelernt haben muss man als Leser, um unterhalten zu werden, auch wenn dieses noch einen anderen Blickwinkel auf das Buch ermöglicht. Der besondere Kniff, dass Marrasjärvi und Saraspäa die Geschichte in abwechselnden Kapiteln, unterschieden durch Zeitwechsel, erzählen, und deren persönliche Sicht der Ereignisse für den Leser, wenn er den Rhythmus einmal verstanden und aufgenommen hat, sanft ineinander verschmelzen, schafft praktisch einen dritten Erzähler mit Raum für Phantasie und persönlicher Interpretation. Natürlich spielt der finnische Autor mit kulturellen Kontrasten und Klischees, nicht zum ersten Male übrigens, aber auf Genuss bringend ironische Weise. btb-Taschenbuch, 9 Euro (mit dem Finlandia-Preis ausgezeichnet).

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