Freitag und das WM-Fieber steigt – auch bei uns Journalisten. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich seit einigen Tagen in der Rohfassung eines fast jeden Artikels klassische Wendungen aus der Sportberichterstattung wieder finden. Wenn beim CD-Review die Formation den „Sack zu macht“ oder beim Konzertbericht vom „Pausentee“ die Rede ist, muss der Redaktions-Exorzist anrollen. Nur so geraten die Schreiber nicht ins Abseits. In der Regel reichen dann drei bis zehn Schläge mit dem Synonym-Wörterbuch, um aus Bundestrainern Bandleader, aus Todesgrätschen schiefe Töne und aus Ersatzspielern langweilige Vorgruppen zu machen.
Apropos Langeweile und Schläge auf den Hinterkopf: Lasst uns über Philip Boa reden! Ein „Frontmann“, der das Publikum anpöbelt („Ey, du Arsch, hör auf zu blitzen“), weil es Erinnerungsfotos macht, der das Licht scheut, wie Dracula den hellen Tag, der seine Texte aus einer dicken Kladde abliest (Foto) und bei den Ansagen ins Mikro nuschelt? Axel Rose jedenfalls wäre stolz auf Ernst Ulrich Figgen, so der bürgerliche Name von Philip Boa. Die Fans scheinen aber Einiges gewohnt zu sein, denn im rappelvollen Essener Turock tobte die Masse als sei dies das letzte Konzert der 80er Ikone, vergebend und vergessend, im Zeittunnel der großen Hits schwebend. Während Boa sich ein ums andere Mal ins kaum vorhandene Rampenlicht verirrt, leben seine Mitmusiker ein nahezu luminanzfreies Dasein. Schade, man hätte sie doch gerne ab und zu einmal gesehen – und sei es nur, um festzustellen, dass diese nicht aus einer Kladde ablesen müssen. Um es weniger blumig auszudrücken: der Typ war eine echte Arschkrampe.
Bei Alice Cooper muss man sich nicht um unprofessionelles Auftreten sorgen: Am Montag fotografiere ich ihn (schon wieder). Dieses Mal in der kleinen Westfalenhalle zu Dortmund. Hoffentlich wird die nicht von Nazis gestürmt, wie das Dortmunder Rathaus am Wahlabend. Wenn doch: Alice wird sie alle köpfen und seiner Boa zum Fraß vorwerfen, ich schwör.
Zurück zum Fußball: Mein Vorhaben, die WM konzertfrei zu gestalten, pulverisiert sich immer mehr. Die Gründe sind aber auch verlocken: Metalfest auf der Loreley, Aerosmith, Castle Rock und und und. Immerhin sind die Spielzeiten recht konzertfotografenfreundlich. 18 Uhr-Spiel gucken, knipsen, schnell nach Hause, 22 Uhr-Spiel …
Aber soweit sind wir natürlich noch nicht und freuen uns deshalb erst einmal auf Iron Maiden bei Rock am Ring und das Wochenende bei meinem Lieblingsfestival, dem RockHard in Gelsenkirchen. Die Armen mussten kurzfristig den ausgefallenen Headliner Megadeth ersetzen (und haben mit Testament eine viel geilere Band aus dem Hut gezaubert). Kein leichtes Unterfangen, doch letztlich ist mir beim RockHard-Festival eh immer (fast) egal, wer spielt. Das Flair des grandiosen schwarzen Familienfests ist und bleibt ungeschlagen!
In diesem Sinne: Rock on

Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.